L-Carnitin (Vitaminoid)
L-Carnitin wurde im Jahre 1905 zum ersten Mal aus Fleischextrakt - daher auch sein Name (lat. caro, carnis, Fleisch) - isoliert. 1932 deckte man seine chemische Struktur als ß-Hydroxy-y-Butyrobetain auf. Trotz zahlreicher pharmakologischer Untersuchungen in den 30er Jahren blieb seine physiologische Rolle jedoch lange ungeklärt. Die Verbindung war nahezu in Vergessenheit geraten, bis Carter und Mitarbeiter 1952 (1) aufgrund ihrer Untersuchungen an Mehlwürmern das wissenschaftliche Interesse an L-Carnitin neu erweckten. Für den Mehlwurm Tenebrio molitor ist L-Carnitin ein essenzieller Wachstumsfaktor. Daher rührt auch die für L-Carnitin gebräuchliche Bezeichnung Vitamin BT. Wenig später zeigten Wissenschaftler, dass L-Carnitin eine zentrale Rolle im Fettstoffwechsel spielt. Als 1973 erstmals ein genetisch bedingter primärer L-Carnitin-Mangel beim Menschen nachgewiesen wurde, stieg das Interesse an L-Carnitin stark an. Man hatte bis dahin immer angenommen, dass der Mensch adäquate Mengen an L-Carnitin selber bilden oder einen erhöhten Bedarf über die Ernährung ausgleichen kann. Die Erkenntnis, dass einige Individuen zur Aufrechterhaltung eines normalen Energiestoffwechsels auf eine zusätzliche L-Carnitin-Substitution angewiesen sind, führte zur Einordnung des Carnitins als Vitamin oder als Vitamin ähnliche Verbindung (Vitaminoid). Da L-Carnitin aus der essenziellen Aminosäure L-Lysin im Körper gebildet werden kann, halten viele Ernährungswissenschaftler die Bezeichnung als Vitamin für unzutreffend. Allerdings kann auch das als Vitamin B3 bezeichnete Niacin im Körper aus der essenziellen Aminosäure L-Tryptophan synthetisiert werden.
Die komplexe Rolle des L-Carnitins im Energiestoffwechsel des menschlichen Organismus, seine Bedeutung für die Herzfunktion und das Immunsystem wurde erst in den letzten Jahren vollständig aufgeklärt.
Weiterführende Informationen zum Vitaminoid L-Carnitin
L-Carnitin ist eine körpereigene quartäre Ammoniumverbindung, die in der Leber und den Nieren aus L-Lysin und L-Methionin unter Beteiligung der Vitamine C, B6, Niacin und Eisen gebildet wird. Die höchsten L-Carnitinkonzentrationen im Körper finden sich in Organen, die ihren Energiebedarf überwiegend aus der Verbrennung von Fettsäuren decken: der Herz- und Skelettmuskulatur.
L-Carnitin ist für den Transport langkettiger aktivierter Fettsäuren (Acyl-CoA) und die Energiegewinnung aus dem Fettsäureabbau (ß-Oxidation) essenziell (siehe Abb. 3.2). Langkettige aktivierte Fettsäuren können die innere Mitochondrienmembran nicht passieren. Die Enzyme der ß-Oxidation sind jedoch im mitochondrialen Matrixraum lokalisiert. Mit Hilfe der Carnitin-Palmitoyl-Transferase 1 (CPTI) wird Acyl-CoA zum Acyl-Carnitin umgeestert. Im Gegensatz zu Acyl-CoA kann Acyl-Carnitin (= Transportform) mittels der Carnitin/Acyl-Carnitin-Translokase die mitochondriale Innenmembran passieren.
Acyl-CoA + Carnitin —> Acyl-Carnitin + CoA-SH
Ein Carnitinmangel ist mit einer Reduktion der Fettsäureoxidation und Hemmung CoA-abhängiger Stoffwechselprozesse assoziiert. Die Herzmuskelzellen weisen sehr hohe L-Carnitin-Konzentrationen auf, da das Herz seine Energie vor allem aus der Verbrennung von Fettsäuren bezieht, im Gegensatz zum Gehirn, das Glucose ver-stoffwechselt. L-Carnitin verbessert die Energieversorgung und steigert die körperliche Leistungsfähigkeit.
Neben seiner Funktion als Fettsäurecarrier ist L-Carnitin auch ein mitochondrialer Entgifter. Es ist in der Lage, die im Wege der Verbrennung entstandenen Stoffwechselprodukte, z. B. freie Fettsäuren, als L-Carnitin-fettsäureester wieder aus den Mitochondrien abzutransportieren und eine Anreicherung toxischer Verbindungen zu verhindern. Das mitochondriale Carnitinsystem besteht aus 3 Carnitin-Acyl-Transferasen und einer Carnitin-Acylcarnitin-Translokase.
Der Immunstatus wird durch L-Carnitin, insbesondere bei geschwächtem Immunsystem (AIDS, Infektionskrankheiten), verbessert. L-Carnitin steigert die Lymphozyten-proliferation, die Phagozytoseaktivität der Granulozyten und Monozyten sowie die Aktivität der natürlichen Killerzellen.
Darüber hinaus weist L-Carnitin membranstabilisierende, antioxidative und neuroprotektive Eigenschaften auf.
L-Carnitinbedarf und -resorption
Der tägliche Bedarf an L-Carnitin wird auf 100 bis 300 mg geschätzt. Die körpereigene Carnitin-Biosynthese deckt etwa 10% des Tagesbedarfs ab und ist auf die ausreichende Versorgung mit Cofaktoren wie Eisen und Vitamin C angewiesen.
Die Carnitin-Resorption erfolgt im Dünndarm über einen Na+-abhängigen aktiven Transportmechanismus oder mittels passiver Diffusion.
Arzneimittel:
Anthrazykline (z.B. Adriamycin), Antiepileptika (Valproinsäure, Carbamazepin, Phenytoin, Phenobarbital), Carbapeneme, Cephalosporine, Cisplatin, Ifosfamid, Isotretinoin, Nukleotidische RT-Inhibitoren (Adefovir), Nukleosidische RT-Inhibitoren (z.B. Zidovudin), Pivalinsäurehaltige Antibiotika (z. B. Pivampicillin), Proteasehemmer, Pyrimethamin, Sulfadiazin. Durch Pivalinsäurehaltige Arzneimittel, Ifosfamid und Valproinsäure wird die Bildung von nicht mehr metabolisierbaren Acyl-CoA-Verbindungen gesteigert und CoA-abhängige Stoffwechselwege blockiert. Die renale Exkretion von Pivaloyl- und Valproyl-L-Carnitin-Estern kann zu iatrogenem Carnitinmangel führen. Cisplatin, Cephalosporine und Carbapeneme hemmen die renaltubuläre Reabsorption und können tubuläre Schäden verursachen.
Ernährung:
Vegan, Kwashiorkor, Reduktionsdiäten, Sondenernährung, TPN.
Erhöhter Bedarf:
Alter, Frühgeborene, Schwangerschaft, starke körperliche Belastung (z.B. Leistungssport), schwere Operationen, Phenylketonurie.
Erkrankungen:
Ischämische Herz-Kreislauf-Erkrankungen (KHK, Myokardinfarkt), AIDS/HIV-Infektion, Hyperthy-reoidismus, Infektionskrankheiten (Diphtherie, Tuberkulose), Kachexie, Krebs, Lebererkrankungen, Post-Polio-Syndrom, Sepsis, Traumata, Diabetes mellitus.
Niereninsuffizienz (—» Hämodialyse):
Verluste über das Dialysat, die Galle, verminderte Biosynthese und Abbau im Darm.
Enzymdefekte der mitochondrialen Atmungskette und ß-Oxidation (z.B. Acyl-CoA-Dehydrogenase-Mangel) Organoazidurien (Propion-, Methylma-lonazidurie):
Vermehrte renale Exkretion von Acyl-Carnitin führt zu sekundären Carnitinmangel im Serum und den Geweben.
Schwangerschaft:
Bereits in der 12. Schwangerschaftswoche kann das freie L-Carnitin im Serum signifikant sinken und zum Geburtstermin ein Level erreichen, der einem primären L-Carnitinmangel (<20 pmol/1) entspricht. Ursachen: Hoher Carnitinbedarf des Feten, gesteigerter Fettsäurestoffwechsel in der Schwangerschaft, Eisenmangel sowie erhöhte renale Acyl-Carnitin-Clearance (> 3-fach). Cofaktormangel: Eisen, Vitamin C, Lysin, Methionin, Vitamin B6 und Niacin. Primärer systemischer L-Carnitin-Man-gel: Angeborene Störung (autosomal-rezessiv) des L-Carnitinstoffwechsels. Ursache ist ein Defekt des Carnitin-Transport-systems der Zellmembranen. Die Erkrankung tritt sehr selten auf (1:10000), manifestiert sich bereits im frühem Kindesalter und verläuft unbehandelt tödlich.
Mögliche Folgen/Mangelsymptome
Anämie, Müdigkeit, Leistungschwäche, verminderte Stresstoleranz
Carnitin-Acyl-Transfera.se: Aktivität und Transkriptionsrate 1
Muskelschwäche, Myalgien, Myo-, Neuropathien, Lipidspeichermyopathien Kardiomyopathien, Herzinsuffizienz Säuglinge und Kleinkinder: Gedeih- und Wachstumsstörungen
Immunsystem: Infektanfälligkeit T Serum: Freies Carnitin 0,4, postprandial). Primärer systemischer Carnitinmangel: Muskelschwäche, schmerzhaften Muskelkrämpfe, Myoglobinurie (Rhabdomyoly-se), hepatische Enzephalopathie, progressive dilatative Kardiomyopathie, Ketoazi-dose, Lipidakkumulation (Herz, Leber). Lipidstoffwechsel: Fettsäureoxidation 1, Dyslipoproteinämie (VLDL u. TG t), Pro-pionazidurie, (Lipodystrophie?). Intermediärstoffwechsel: Hemmung CoA-abhängiger Stoffwechselprozesse Hypoglykämie, Hyperammonämie, Insulinresistenz, Laktatazidose. PDH-Aktivität i
Adipositas
Eine Substitution von L-Carnitin (3 x 1000 mg/Tag) in Verbindung mit einer Diät und körperlicher Aktivität (z. B. moderater Ausdauersport) fördert den Fettstoffwechsel und die Gewichtsreduktion. L-Carnitin ist allerdings kein „Fettburner", wie in der Laienpresse immer wieder fälschlicherweise behauptet wird und auch nur sinnvoll bei gleichzeitiger körperlicher Aktivität!
AIDS
Im Körper des HIV-Patienten sterben täglich Millionen infizierter T4-Lymphozyten (CD4-Zellen) durch übermäßige Apopto-se (programmierter Zelltod) ab. Diese massiven Verluste versucht das Immunsystem permanent durch Produktion neuer T4-Zellen auszugleichen. Auf Dauer entwickelt sich ein Eiweißmangel, der zu einer zusätzlichen Schwächung des Immunsystems führt.
Bei AIDS-Patienten werden neben reduzierten L-Carnitin-Serumspiegeln vor allem stark erniedrigte Carnitinkonzentrationen in den Monozyten gefunden. Als mögliche Ursachen werden Energiestoffwechselstörungen (Eiweißmangel), antiretrovirale Virustatika, renale Verluste und gastrointesti-nale Störungen diskutiert. L-Carnitin verbessert bei Patienten mit AIDS die Fettverbrennung, steigert die Phagozytoseaktivität der Granulozyten, aktiviert die Monozyten und scheint auch dem Prozess der übermäßigen Apoptose entgegenzuwirken. In einer Untersuchung an männlichen AIDS-Patienten, die mit Zidovudin und Cotrimoxazol behandelt wurden, führte die tägliche intravenöse Gabe von 6 g L-Carnitin zu einer deutlichen Reduktion der T-Zell-Apoptose. Die unter der Therapie mit NRTI (Zidovudin, Didano-sin) auftretende Muskelschwäche und periphere Neuropathie kann durch L-Carnitin verbessert werden.
Diabetes mellitus
Infusionen mit Acetyl-L-Carnitin führten in Studien an Typ-2-Diabetikern zu einer signifikanten Verbesserung des Glucosestoff-wechsels, nachweisbar in einem Anstieg der Glucoseoxidation und -Verwertung sowie einer Abnahme der Insulinresistenz und der La-katat-Plasmaspiegel. Als möglicher Mechanismus wird eine Erhöhung der Glykogen-synthase-Aktivität durch L-Carnitin diskutiert. Die mit einem Diabetes mellitus assoziierte Dyslipoproteinämie (erhöhte Triglycerid- und Ketonkörperwerte) sowie die Symptomatik peripherer Neuropathien können durch L-Carnitin (1000 bis 4000 mg/Tag, p.o.) verbessert werden.
Alzheimer
Acetyl-L-Carnitin (ALC) besitzt die gleichen Eigenschaften wie L-Carnitin, soll aber bei der Behandlung altersbedingter Hirnleistungsstörungen wirksamer sein. Möglicherweise wird ALC durch die Acetylierung besser resorbiert. ALC besitzt antioxidative Eigenschaften und verbessert die Energieversorgung der Gehirnzellen. Aufgrund der strukturellen Ähnlichkeit mit Acetycholin wird auch eine cholinomimetische Wirkung des Carnitins diskutiert. In einer Doppelblindstudie an Patienten mit Alzheimer-Erkrankung konnte durch die tägliche Gabe von 3 X 1000 mg Acetyl-L-Carnitin über die Dauer von einem Jahr eine signifikante Verlangsamung der Krankheitsprogression (zunehmende Beeinträchtigung kognitiver und funktioneller Körperfunktionen) beobachtet werden.
Hämodialyse
Die Niere spielt eine zentrale Rolle bei der Aufrechterhaltung der Carnitin-Homöosta-se und der endogenen Carnitin-Biosynthe-se. Über 90% des filtrierten Carnitins wird wieder renal rückresorbiert. Dabei ist die Clearance für Acyl-Carnitin (AC) signifikant höher als die des freien Carnitins (C). Da Acyl-Carnitin in der Niere schlechter rückresorbiert wird als freies Carnitin ist ein Anstieg des AC:C-Quotienten im Plasma mit einem Carnitinmangel verbunden. Dialysepatienten weisen häufig aufgrund erniedrigter endogener Synthese und hohen Dialysatver-lusten einen Carnitinmangel auf. Durch seine Lipidsenkenden Eigenschaften ist eine L-Carnitin-Substitution bei Dialyse-Patienten vor allem im Hinblick auf das erhöhte atherothrombotische Risiko von Bedeutung. Bei Niereninsuffizienz kann das Hormon Erythropoetin (EPO), das für die Erythropoe-se im Knochenmark erforderlich ist, nicht mehr ausreichend gebildet werden. Als Folge kann sich eine Anämie entwickeln. Durch die intravenöse Gabe von 1 g L-Carnitin kann der EPO-Bedarf zur Vorbeugung einer Anämie signifikant reduziert werden. Auch der Lipidstoffwechsel (LDL-, Gesamt-Choleste-rin) und die antioxidative Kapazität des Plasmas wird durch L-Carnitin verbessert. Zum Ausgleich der Dialysatverluste wird die parenterale Applikation von 1 bis 2 g L-Carnitin nach jeder Hämodialyse empfohlen.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Das Herz gewinnt seine Energie überwiegend (zu 60-70 %) aus der Verbrennung von Fettsäuren. Damit das Herz seine Funktion ausüben kann, ist es auf eine ausreichende Versorgung mit L-Carnitin angewiesen. Bei Herzerkrankungen wie KHK und Herzinsuffizienz sind die myokardialen L-Carnitin-Konzentrationen deutlich verringert. L-Carnitin steigert bei Patienten mit KHK die Belastungstoleranz, vermindert die durch Ischämie verursachten EKG-Veränderungen und ökonomisiert die Herzleistung. Möglicherweise schützt L-Carnitin dabei das Myokard vor der oxidativen Schädigung durch freie Sauerstoffradikale, die nach Ischämie und anschließender Reperfusion entstehen.
In der Therapie der chronisch-stabilen Angina pectoris stellt eine Ergänzung mit L-Carnitin eine sinnvolle therapeutische Maßnahme neben der etablierten Standardtherapie mit Betablockern, Calciumantagonisten und Nitraten dar. In einer doppelblinden plazebo-kontrollierten und randomisierten Studie führte die tägliche orale Applikation von 2 g L-Carnitin über einen Zeitraum von 28 Tagen bei Patienten nach einem akuten Herzinfarkt zu einer deutlichen Reduktion der Infarktgröße, der linksventrikulären Dilatation, der Herzrhythmusstörungen und der Angina pec-toris-Symptomatik. Die Analyse von 3 Multizenterstudien an über 3500 Patienten mit chronisch myokardialer Ischämie, die über ein Jahr zusätzlich zur Standardtherapie mit 2 g L-Carnitin behandelt wurden, ergab neben einer Verminderung von Angina-pectoris-Anfällen und Verbesserung der physischen Leistungsfähigkeit, einen signifikant reduzierten Verbrauch herzwirksamer Medikamente. In der Therapie von Herzerkrankungen werden Dosierungen von 500 mg bis 4000 mg L-Carnitin pro Tag eingesetzt.
Hyperlipidämien
Bei Fettstoffwechselstörungen kann L-Carnitin (1000-4000 mg/Tag) die Triglyceride und die Gesamt-Cholesterinwerte senken und das HDL-Cholesterin erhöhen.
Krebs (—> Anthrazykline)
Die prophylaktische Gabe von L-Carnitin kann die therapeutische Breite von Anthrazy-klinen verbessern. Als mögliche Ursachen der Anthrazyklin-induzierten Kardiotoxizität werden folgende Mechanismen diskutiert: Blockade der Carnitin-Palmitoyl-Transferase sowie der Betaoxidation langkettiger Fettsäuren im Herzmuskel, Interaktion mit dem Phos-pholipid Cardiolipin der myokardialen Mitochondrienmembran und oxidative Membranschäden. Zur Prävention kardiotoxischer Nebenwirkungen der Anthrazykline werden 3 x täglich 1 g L-Carnitin oral sowie 1 -2 g (i.v.) vor der Chemotherapie empfohlen (24)(25).
Periphere arterielle Verschlusskrankheit
Die Substitution von L-Carnitin (1000 bis 2000 mg/Tag) führte in mehreren Studien zu einer signifikanten Verbesserung der Gehstrecke bei Claudicatio intermittens.
Schwangerschaft und Stillzeit
Schwangere und stillende Frauen haben einen erhöhten Carnitin-Bedarf. Für eine normale Entwicklung des Fetus und des Neugeborenen ist die Energiegewinnung aus der Verbrennung langkettiger Fettsäuren essenziell. Beim Neugeborenen ist die Fähigkeit zur körpereigenen L-Carnitin-Synthese noch nicht vollständig entwickelt. Seine initiale L-Carnitin-Versorgung ist daher stark vom L-Carnitin-Status der Mutter abhängig. Schwangere Frauen weisen niedrigere L-Car-nitin-Serumspiegel im Vergleich zu Nicht-Schwangeren auf. Auch die L-Carnitin-Kon-zentrationen im fetalen Blut und im Blut der Nabelschnur sind deutlich höher als im mütterlichen Blut. Man nimmt an, dass L-Carnitin durch einen aktiven Transportmechanismus über die Plazenta zum Fetus gelangt.
Im Gegensatz zu künstlicher Säuglingsnahrung auf Kuhmilch- oder Sojabasis, enthält Muttermilch große Mengen an L-Carnitin. Die Bioverfligbarkeit von L-Carnitin aus der Muttermilch ist zudem wesentlich besser als aus vergleichbarer Flaschennahrung. Diese Tatsache unterstreicht wieder einmal die Bedeutung der Muttermilch für die gesunde frühkindliche Entwicklung.
Bei Frühgeborenen findet man stark erniedrigte L-Carnitin-Serumspiegel. Eine rechtzeitige L-Carnitin-Substitution fördert die Gewichtszunahme und das Wachstum.
Leistungssport
Bei Ausdauersportarten wird der größte Teil der Energie durch die Fettverbrennung bereitgestellt. Der Körper eines Ausdauersportlers verbraucht aufgrund der gesteigerten Muskelarbeit mehr Carnitin als er durch Eigensynthese oder über die Nahrung aufnehmen kann. Vor allem bei Ausdauersportarten wie Radrennen, Marathonlauf und Schwimmen ist der Körper auf eine optimale Versorgung mit L-Carnitin angewiesen. Ein Carnitinmangel kann sich daher durch eine ungenügende Energieverwertung leistungsmin-dernd auswirken. Carnitin kann die maximale Sauerstoffaufnahme erhöhen, den intramuskulären Laktatanstieg verzögern und die Regeneration nach hohen Trainingsbelastungen beschleunigen. Zusätzlich schützt es das Immunsystem des Athleten vor Schwächung durch Übertraining. Dosierung: In Trainingsphasen 500 bis 2000 mg L-Carnitin pro Tag, vor einem Wettkampf (2-3 h vorher) 2000 mg bis 4000 mg L-Carnitin.
Post-Polio-Syndrom (PPS)
Das Post-Polio-Syndrom ist eine neurologische Störung, die sich erst Jahrzehnte nach einer akuten Polioinfektion durch Symptome wie Muskelschmerzen, starke Ermüdbarkeit und fortschreitende Muskelschwäche äußert. In seltenen Fällen können Muskelatrophie, Atem- und Schluckbeschwerden sowie Kälteempfindlichkeit auftreten. Die bisher vorliegenden Ergebnisse zum Einsatz von L-Carnitin bei PPS belegen, dass durch L-Carnitin (1000 bis 3000 mg/Tag) eine deutliche Verbesserung der Ausdauer, Muskelkraft und Schmerzsymptomatik erzielt werden kann (27)(28).
Valproinsäure
Antiepileptika wie Carbamazepin, Phenytoin, Phenobarbital und Valproinsäure reduzieren die L-Carnitin-Serumspiegel. Bei Kindern können unter Langzeittherapie mit Valproinsäure Störungen des Leberstoffwechsels mit Hyperammonämie, Erhöhung der Lebertransaminasen, Enzephalopathie bis hin zu toxischen Hepatopathien auftreten. Unter Zusatzmedikation mit weiteren Anti-konvulsiva ist das hepatotoxische Risiko deutlich erhöht. Valproinsäure blockiert CoA-abhängige Stoffwechselprozesse und führt durch die vermehrte renale Exkretion von Valproyl-L-Carnitin zu einem Carnitinmangel. Möglicherweise kann die adjuvante Gabe von L-Carnitin (500-3000 mg/Tag) die Lebertoxizität der Valproinsäure reduzieren.
Weitere Anwendungsgebiete
Lebererkrankungen, parenterale Ernährung, Muskeldystrophien, Neuro- und Myopathien.
Nebenwirkungen
In seltenen Fällen wurden gastrointestina-le Unverträglichkeiten (Übelkeit, Durchfall) und verstärkter Körpergeruch beobachtet.
Bei der ATP-Produktion in den mitochondrialen Multienzymkomplexen der Atmungskette wirken L-Carnitin und a-Liponsäure synergistisch. Cholin kann die renale Exkretion von L-Carnitin deutlich reduzieren und trägt dadurch möglicherweise zu einer Verbesserung des Carnitinstatus bei.
Hinweis: Es sollte immer nur die L-Form, nie das Racemat oder die reine D-Form des Carnitins verwendet werden. Bei Hämodialy-se-Patienten führte das Razemat zu Myas-thenia-ähnlichen Symptomen. Man nimmt an, dass die D-Form die zelluläre Aufnahme des natürlichen L-Carnitins hemmt und dadurch zu einem Carnitinmangel in der Herz-und Skelettmuskulatur führt.
Dosierung: Je nach Krankheitsbild und Schwere der Erkrankung wird L-Carnitin in Dosierungen zwischen 0,5 und 6 g pro Tag angewendet. Die tägliche therapeutische Dosis für Erwachsene und Kinder liegt bei etwa 25 bis 100 mg pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag.