Vitamin D3 (Colecalciferole)
Physiologische Bedeutung Vitamin D3 (Colecalciferole)
Unter den Vitaminen hat Vitamin D eine Sonderstellung, da der menschliche Organismus es in den Keratinozyten der Haut aus 7-Dehydrocholesterol (Provitamin D3) durch die Einwirkung von UV-Licht selber bilden kann. Das endogen gebildete Vitamin D3 (Colecalciferol) wird über Cytochrom P450-abhängige Enzymsysteme in der Leber zu 25-Hydroxy-Colecalciferol und anschließend in der Niere zu 1,25-Dihydroxy-Colecalciferol (Calcitriol), der eigentlichen Wirkform hydroxyliert. Da Cholesterol in der Regel im Organismus ausreichend verfügbar ist und die Bildung der eigentlichen Wirkform in der Leber und der Niere erfolgt, stellt Calcitriol im engeren Sinne kein Vitamin, sondern ein Hormon dar. Das in den Nebenschilddrüsen gebildete Parathormon steigert die Hydroxylierungsrate in der Niere und damit die Bildung von Calcitriol. Im Zusammenspiel mit Calcitonin und Parathormon ist Vitamin D3 essenziell für die Aufrechterhaltung physiologischer Calcium- und Phosphatkonzentrationen.
Vitamin D3 steigert die Resorption von Calcium aus dem Darm, indem es in der Dünndarmschleimhaut die Bildung eines calciumbindenden Proteins induziert. Zusätzlich fördert es die Rückresorption von Calcium in den Nieren und stimuliert die Osteoklastentätigkeit. Durch die Aktivität der Osteoklasten wird ein Skelettwachstumfaktor (SGF) freigesetzt, der die Osteoblasten stimuliert. Der Anstieg des Blutcalciumspiegels führt zu verstärktem Knochenaufbau durch die Osteoblasten. Über seinen Einfluss auf den Calciumstoffwechsel ist Vitamin D3 für den normalen Aufbau von Knochen und Zähnen sowie die Erregungsleitung in Muskel- und Nervenzellen essenziell. Ein Vitamin D-Mangel ist daher mit einer mangelhaften Mineralisierung des Knochens und geringer Knochendichte assoziiert, der sich bei Kleinkindern in Form der Rachitis, beim Erwachsenen als Osteomalazie äußert.
Neben seiner Bedeutung für den Calciumstoffwechsel ist Vitamin D3 wichtig für eine normale Differenzierung und Proliferation der Hautzellen. Immunkompetente Zellen wie Makrophagen, B- und T-Lymphozyten besitzen Vitamin D-Rezeptoren, über die Vitamin D3 zusätzlich eine immunmodulierende Wirkung ausübt. Auch immunsupprimierende Effekte auf die Karzinogenese werden für Vitamin D beschrieben.
Vitamin D kann bei ausreichender Sonnenbestrahlung vom Organismus selbst produziert werden, so dass die Ermittlung eines tatsächlichen Bedarfs schwierig ist. Bei Säuglingen und Kleinkindern reicht in unseren Breiten aufgrund der hohen Luftverschmutzung die endogene Vitamin D-Synthese nicht aus, um Hypovitaminosen zu vermeiden. Auch bei Menschen, deren Haut aufgrund ihrer Lebensgewohnheiten oder aus Altersgründen selten Kontakt mit Sonnenlicht hat, sollte auf eine ausreichende Vitamin D-Versorgung geachtet werden (siehe Tab. 3.14). Die D-A-CH-Referenzwerte empfehlen für Säuglinge die tägliche Aufnahme von 10 pg (400 I.E.), für Schwangere und Stillen-
Vitamin D-Gehalt ausgewählter Nahrungsmittel
Nahrungsmittel Vitamin D-Gehalt (pg/100 g)
Hering 26,7
Lachs 16,3
Thunfisch 4,5
Butter 1,2
de, für Kinder, Jugendliche und Erwachsene 5 pg (200 I.E.) Vitamin D3, für Personen ab dem 65. Lebensjahr 10 pg (400 I.E.) Vitamin D3 (1 pg Vitamin D3 entspricht 40 I.E.).
Neben der endogenen Synthese wird exogen zugeführtes Vitamin D3 mit Hilfe von Gallensäuren in Chylomikronen inkorporiert, als fettlösliche Verbindung im Dünndarm mittels passiver Diffusion resorbiert und anschließend wie das endogen gebildete Colecalciferol hydroxyliert.
- Alter: Eingeschränkte Nierenfunktion, ungenügende Versorgung mit Nährstoffen, geringe Sonnenlichtexposition, geringe körperliche Aktivtät.
- Arzneimittel: Antiepileptika (z.B. Pheno-barbital, Primidon) beschleunigen den Vitamin D-Metabolismus (Cyt-P450). Ohne eine Vitamin D-Substitution führt eine Langzeitmedikation mit Antiepileptika in bis zu 10% der Fälle zu einer Hypovitaminose D („Osteopathia antiepileptica"). Paraffin und Colestyramin verursachen eine Malabsorption fettlöslicher Vitamine. Glucocorticoide wirken Vitamin D antagonistisch: Sie vermindern die Calciumresorption im Darm, fordern die Calciumex-kretion über die Nieren und erniedrigen die Knochenneubildung durch Osteoblasten („Corticoid-Osteoporose").
Erhöhter Bedarf: Säuglinge, Kleinkinder, Menopause, Schwangerschaft, Stillzeit, Wachstum, dunkle Hautfarbe.
Ernährung: Rein vegetarische Kost verbunden mit geringer Sonnenlichtexposition; Calciummangel erhöht den Vitamin D-Stoffwechsel Hypoparathyreodismus (PTH-Sekretion), Pseudohypoparathyreoidismus (renale Resistenz gegen PTH), primärer Hyperpa-rathyreoidismus (erhöhter Stoffwechsel) Maldigestion/-absorption: CED, Leberund Gallenblasenerkrankungen, Magenresektion, Kurzdarmsyndrom, Mukoviszidose, Pankreasinsuffizienz, Niereninsuffizienz (Störung der loc-Hydroxylierung), nephrotisches Syndrom, Hämodialyse.
Abfall der 25(OH)D3-Spiegel im Serum (Referenzbereich: a) Sommer: 50-300 nmol/1, b) Winter: 25-125 nmol/1). 25(OH)D3-Spiegel 3-Spiegel: > 100 nmol/1).
- Blut: Die reduzierten Calcium- und Phosphatspiegel im Blut führen zu einer gesteigerten Aktivität der alkalischen Phosphatase und zu sekundärem Hyperparathy-reoidismus (Osteolyse). Pyridinium cross-links (Pyridinolin, De-soxypyridinolin): Erhöhte renale Exkretion. Pyridinium cross-links verbinden im Knochengewebe benachbarte Kollagen-Moleküle.
- Rachitis: Vitamin-D-Mangel verursacht bei Säuglingen und Kleinkindern Rachitis, auch „Englische Krankheit" genannt. Zu den typischen Kennzeichen gehören: Verformungen der Röhrenknochen, des Schädels und der Wirbelsäule. Das Absinken des Blutcalciumspiegels führt zu tetani-schen Krämpfen (Spasmophilie).
Beim Erwachsenen wird die aufgrund der gestörten Einlagerung von Mineralien verursachte Knochenerweichung als Osteomalazie (Skelettdeformierungen, Knochenschmerzen und Spontanbrüche) bezeichnet.
- Vitamin D-Mangel kann sich auch in Form unspezifischer Symptome wie chronische Müdigkeit, Reizbarkeit, erhöhte Infektanfälligkeit und Schlafstörungen äußern. Erhöhtes Risiko für Tumoren der Mamma und des Kolons.
Diabetes mellitus
Die Inselzellen des Pankreas benötigen für die normale Insulinausschüttung Vitamin D. Ein Mangel an Vitamin D kann mit eingeschränkter Glucosetoleranz einhergehen. In einer Untersuchung an 142 Holländern im Alter von 70 bis 88 Jahren wurde anhand eines oralen Glucosetoleranztestes festgestellt, dass bei Vitamin D-Mangel die Glucosetoleranz, die Insulinsekretion und die Insulinsen-sitivität deutlich beeinträchtigt sind. Hypovitaminose D könnte nach Meinung der Autoren ein eigenständiger Risikofaktor bei der Entwicklung einer Glucoseintoleranz und des Altersdiabetes darstellen. In einer europäischen Multizenterstudie wurden die Daten von insgesamt 820 jugendlichen Diabetikern und 2335 altersgleichen Kontrollen ausgewertet. Kinder, die in den ersten Lebensjahren mit Vitamin D supplementiert wurden, hatten ein signifikant reduziertes Risiko an einem Typ-I-Diabetes zu erkranken. Möglicherweise hemmt Vitamin D die bei der Diabetesentstehung beteiligten Autoimmunprozesse.
Epilepsie - Osteopathia antiepileptica
Über die Induktion mikrosomale Enzymsysteme in der Leber und chronisch erhöhter Cytochrom-P450-Aktivität steigern Antiepileptika (Phenytoin, Carbamazepin, Pheno-barbital) den enzymatische Abbau von Vitamin D. Es kommt zu einem signifikanten Abfall der 25-Hydroxy- und 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3-Spiegel im Serum und als Folge der Hypocalcämie zu einem Anstieg des Parathormonspiegels (sekundärer Hyperparathyreoidimus). Die Exkretion von Pyridino-lin-Crosslinks steigt als Zeichen der erhöhten Knochenresorption an. Abnehmende Knochendichte (Lendenwirbelsäule L2-L4) und Knochenzellproliferation sind mit einem erhöhten Frakturrisiko assoziiert. Unter Langzeitmedikation mit Antiepileptika sollte daher unabhängig vom Alter und Geschlecht grundsätzlich auf eine adäquate Versorgung der Patienten mit Calcium und Vitamin D (400-1000 I.E./d) geachtet werden.
Hypoparathyreoidismus
Parathormonmangel ist mit einer Hypocalcämie und Hyperphosphatämie verbunden. Durch den Calciummangel kann sich eine Tetanie entwickeln. Zur Therapie wird Colecalciferol (10000-20000 I.E./d, CAVE: Serumcalcium-Kontrollen) eingesetzt.
Krebs
Neben der Regulierung der Calcium-homöostase ist der Einfluss des Vitamin D auf die Zelldifferenzierung, das Immunsystem und das Tumorwachstum von besonderer Bedeutung. Epidemiologische Studien geben Hinweise darauf, dass eine gute Versorgung mit Vitamin D (800 I.E./Tag) und Calcium (1800 mg/Tag) einen gewissen Schutzfaktor gegenüber dem Auftreten von Kolon-und Mammakarzinomen darstellt. Im Zusammenhang mit Brustkrebs wird eine Wechselwirkung von Vitamin D mit Östrogenrezeptoren und Hemmung des durch Östrogene induzierten Zellwachstums in der Brustdrüse diskutiert.
Chronische Niereninsuffizienz
Colecalciferol (Vitamin D3) wird in der Niere in die eigentliche Wirkform Calcitriol überführt. Bei eingeschränkter Nierenfunktion kann diese Aktivierung nicht mehr stattfinden. Es entwickelt sich eine renale Osteopathie. Zur Therapie werden deshalb hydroxylierte Vitamin D-Derivate, wie Calcitriol, eingesetzt. Neben der Substitution von Calcitriol ist eine Normalisierung des Serumphosphatspiegels von elementarer Bedeutung (Hyperphosphatämie!)
Osteoporose
Insbesondere ältere Menschen und Frauen in der Menopause weisen häufig erniedrigte Vitamin D-Plasmaspiegel auf. Durch eine rechtzeitige und permanente Zufuhr von Calcium und Vitamin D kann bei Senioren die Inzidenz von Oberschenkelhalsfrakturen signifikant gesenkt werden. Für die Osteoporose-Prävention sollte vor allem bis zum 30. Lebensjahr auf eine calciumreiche Ernährung mit reichlich Milch und Milchprodukten geachtet werden. Zur Osteoporose-Prophylaxe werden täglich 400 bis 1000 I.E. Vitamin D in Kombination mit 1000 bis 1500 mg Calcium gegeben. In der unterstützenden Therapie der Osteoporose wird Vitamin D in Dosierungen von 1000 bis 3000 I.E. eingesetzt (regelmäßige Calcium-Kontrollen!).
Psoriasis
In Therapie der Psoriasis wird Vitamin D (Calcitriol) systemisch und in Form seiner Derivate wie Calcipotriol zur lokalen Therapie eingesetzt. Vitamin D greift regulierend in die gestörte Zelldifferenzierung und -proliferation ein.
Vitamin D-Supplementierung bei Säuglingen -Rachitisprophylaxe
Die Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde empfiehlt unabhängig von der Vitamin D-Produktion durch UV-Licht in der Haut und der Vitamin D-Zuführ durch Frauenmilch bzw. Säuglingsmilch zur Rachitisprophylaxe bei gestillten und nicht gestillten Säuglingen die tägliche Gabe einer Vitamin D-Tablette von 10-12,5 pg (400-500 I.E.) ab dem Ende der ersten Lebenswoche bis zum Ende des 1. Lebensjahres. Die Prophylaxe kann im 2. Lebensjahr im Herbst und Winter fortgeführt werden. Kinder mit dunkler Hautfarbe haben ein erhöhtes Risiko für Rachitis und benötigen daher eine höhere Dosierung. Ebenfalls gefährdet sind Kinder, die nicht ausreichend mit Calcium versorgt werden (asiatischer Kulturbereich, vegane Ernährung). Eine Vitamin D-Substitution in den ersten Lebensjahren war in der EURODIAB-Studie mit einem signifikant geringeren Risiko an einem Typ-I-Diabetes zu erkranken assoziiert!
Rachitistherapie
In der Rachitistherapie werden 1000-5000 I.E. Vitamin D3 täglich über ein Jahr (zusammen mit Calcium- und Phosphationen) gegeben. Zur Einleitung können eimalig 200000 I.E. Vitamin D3 appliziert werden.
Weitere Anwendungsgebiete
Mukoviszidose, Multiple Sklerose, CED, Osteomalazie, Polyarthritis, Psoriasis.
Bei den fettlöslichen Vitaminen A und D besteht das Risiko einer Hypervitaminose. In Dosierungen von bis zu 1000 I.E. täglich verursacht Vitamin D nur in Ausnahmefallen Nebenwirkungen. Dennoch ist eine hochdosierte Vitamin D- oder A-Substitu-tion kein Fall für die Selbstmedikation und sollte grundsätzlich nur nach Rücksprache mit dem Arzt erfolgen. Die regelmäßige Einnahme hoher Vitamin D-Dosen kann in Folge einer Hyperkalzämie zu ernsten Nebenwirkungen führen. Als klinische Symptome treten Durchfälle, Übelkeit, Kopf-und Gelenkschmerzen auf. Die mit der Ablagerung von Calcium in den Gefäßen verbundene Gefaßverkalkung führt zu Arteriosklerose und Nierenversagen. Allerdings ist man weder durch zu langen Aufenthalt in der Sonne noch durch die Aufnahme Vitamin D-haltiger Nahrungsmittel einem erhöhten Risiko ausgesetzt. Nach Ernährungsberichten der DGE besteht in Deutschland eher die Gefahr einer Unterversorgung mit Vitamin D. Frauen aller Altersgruppen sowie Männer bis zum 25. Lebensjahr liegen deutlich unter den täglichen Zuführempfehlungen der DGE!
Wechselwirkungen
Bei gleichzeitiger Einnahme von Thiaziden kann sich das Risiko einer Hypercalcämie erhöhen, da Thiazide die renale Calciumausscheidung verringern.
Gegenanzeigen
Patienten mit Hypercalcämie dürfen nicht mit Vitamin D behandelt werden. Bei Nierensteinen, Sarkoidose und Immobilisation sollte unbedingt vor Einnahme eines Vitamin D-Präparates der Arzt konsultiert werden.