Folsäure (Pteroylglutaminsäure)

Folsäure (hier synthetische Folsäure (Pteroylmonoglutaminsäure, PGA)) gehört zur Gruppe der B-Vitamine. Sie wird im Organismus unter Beteiligung von Ascorbinsäure und Vitamin B12 zu Tetrahydrofolsäure (THF) reduziert. Tetrahydrofolsäure übernimmt als Überträger aktivierter C-l-Gruppen (Methyl-, Formyl-, Formiat- und Hydroxymethylgruppen) eine wichtige Funktion im Aminosäure- und Nukleotidstoffwechsel sowie bei der Methylierung von Homocystein zu Methionin. Wie Vitamin B12 ist auch Folsäure essenziell für die Biosynthese von Purinen und Pyrimidinen, die DNA- und RNA-Synthese und damit für jegliche Wachstums- und Zellteilungsvorgänge. Der limitierende Schritt der DNA-Synthese, die Methylierung von Desoxyuridin-Monophosphat (dUMP) zu Thymidilat (dTMP) ist obligat Folsäure abhängig. Da die blutbildenden Zellen des Knochenmarks eine hohe Zellteilungsrate besitzen, sind sie besonders auf eine ausreichende Versorgung mit Folsäure angewiesen. Darüber hinaus ist Folsäure an der Umwandlung von Serin in Glycin und am Histidin-Stoffwechsel beteiligt.

Folsäurebedarf und -resorption

Die D-A-CH-Referenzwerte empfehlen für Jugendliche und Erwachsene eine tägliche Zufuhr von 400 (ig Folsäure (Nahrungsfolat),

Folsäuregehalt ausgewählter Nahrungs­mittel 

Nahrungsmittel

Folsäuregehalt ([ig/100 g)

Weizenkeime

330-700

Spinat

145

Eigelb (Huhn)

160

Rinderleber

108

Broccoli

111

für Schwangere und Stillende 600 pg Folsäure. Dabei entspricht 1 pg Nahrungsfolat, 1 pg Folat-Äquivalent und 0,5 pg synthetischer Folsäure (Pteroylmonoglutaminsäure, PGA). Frauen, die schwanger werden wollen, sollten zusätzlich 400 pg synthetische Folsäure (PGA) in Form von Supplementen aufnehmen, um Neuralrohrdefekten vorzubeugen. Diese erhöhte Zufuhr sollte spätestens 4 Wochen vor Beginn der Schwangerschaft erfolgen und während des ersten Drittels der Schwangerschaft beibehalten werden.

Die Folsäureresorption ist ein pH-abhängiger Prozeß, der vor allem im proximalen Dünndarm stattfindet. Nach der Mikroklimahypothese wird die Resorptionsrate der Folsäure durch den pH-Wert im Jejunum bestimmt (optimal bei pH = 6,0). Bei einem Anstieg des pH-Wertes (< 6,3) kommt es zu einem signifikanten Abfall der Folsäureresorption. Die in der Nahrung enthaltene Folsäure liegt bis zu 80% in Form nicht resorbierbarer Polyglutamatverbindungen vor. Diese werden vor der eigentlichen Resorption durch das im Darmsaft und in der Dünndarmmukosa vorkommende Enzym Folsäure-Dekonjugase (Zink abhängig) in resorbierbare Monoglutamatverbindungen gespalten.

Gute Folsäurelieferanten sind Salat, Spinat, Weizenkeime und Leber. Obst ist relativ arm an Folsäure. Aus tierischen Nahrungsmitteln wird Folsäure besser resorbiert (siehe Tab. ).

Aufgrund der schlechten Versorgungslage mit Folsäure in den westlichen Industrienationen werden seit Januar 1998 in den USA Grundnahrungsmittel (z.B. Cornflakes) mit Folsäure angereichert. Die Inzidenz von Neuralrohrdefekten sowie erhöhte Homocysteinspiegel sollen dadurch gesenkt werden. Die Ergebnisse einer doppelblinden, Placebo-kontrollierten und randomisierten Studie an Patienten mit KHK bestätigen, daß sich durch den Zusatz von Folsäure in Cornflakes die Plasmahomocystein-Spiegel signifikant reduzieren lassen. Seit August 1998 werden nun auch in Ungarn Grundnahrungsmittel (Brot) mit Folsäure, Vitamin B6 und B12 angereichert. Nach Ernährungsberichten der DGE ist in Deutschland die Folsäureversorgung der jungen Frauen im gebärfähigen Alter besonders schlecht: bis zu 75% liegen unter der empfohlenen Zufuhr von 400 pg Folsäure/Tag. Trotzdem besteht offensichtlich kein Handlungsbedarf.

Alkoholismus:
Alkohol reduziert die Resorption und steigert den Folsäureabbau. Ein durch hohen Alkoholkonsum bedingtes Brustkrebsrisiko läßt sich durch adäquate Folsäureaufnahme reduzieren (3).

Arzneimittel:
a) Störung der Resorption: Antiepileptika (Phenytoin, Primidon, Barbiturate, Carbamazepin, Valproinsäure), ASS, Colestyramin, Diuretika (Zinkverlust!), Furosemid, orale Kontrazeptiva, Metformin, Pankreatin, Sulfasalazin;
b) Folsäureantagonisten: Aminopterin, Cotrimoxazol, MTX, Pentamidin, Proguanil, Pyrimethamin, Triamteren, Trimethoprim, Tetroxoprim.

Erhöhter Bedarf:
Alter, Eisenmangel, Frühgeburten, Wachstum, Perikonzeption, Stillzeit, Schwangerschaft (Geringe körpereigene Folsäurereserve von nur etwa 12 bis 15 mg).

Ernährung:
Mangel-/Fehlernährung. Hohe Folsäureverluste (bis zu 100%) bei der Lebensmittelverarbeitung, -lagerung und -Zubereitung. Folsäure wird aus Lebensmitteln nur zu 50 % resorbiert

Erkrankungen:
AIDS, Diabetes mellitus, hämolytische Anämien, Hyperthyreose, Krebs, akute Leukämien, Lebererkrankungen, chronische Niereninsuffizienz (Hämodialyse), Rheuma (MTX-Behandlung), Sichelzellenanämie, Malaria, Thalassämie.

Malabsorption:
Amyloidose, CED, Darmlymphome, Dermatitis herpetiformis, Darmstenosen, Jejunumresektion, M. Whipple, Sprue, Zöliakie. Mangel an Zink (Cofaktor der Folsäuredekonjugase), Vitamin C und Vitamin B12.

Mangelsymptome

Allgemeine Symptome: Blässe, Schwäche, Vergeßlichkeit, depressive Verstimmung, Reizbarkeit. Erythrozyten-Folat < 250 ng/ml, Serum-Folat < 3,5 ng/ml.

Magen-Darm-Trakt: Appetitlosigkeit, Diarrhoe, Gewichtsverlust Schleimhäute:   Glossitis, Stomatitis, Schleimhautatrophie im GIT und Urogenitaltrakt, Gingivahyperplasie. Schwangerschaftskomplikationen (Früh-und Fehlgeburten), Spaltbildung in der Wirbelsäule (Spina bifida), embryonale Mißbildungen (Neuralrohdefekte). Bis zu 20% der Mütter von Kindern mit Neuralrohrdefekten weisen erhöhte Homocysteinspiegel auf. Dermatitis, Haarausfall Megaloblastäre Anämie. Granulo-, Lympho- und Thrombozytopenie. Verringerte Antikörperbildung und Phagozytoseaktivität der Leukozyten. Hemmung der Thymidilat-Synthase (—> Chromosomenbrüche) Homocyst(e)inämie (> 10 pmol/1)

  • Polyneuropathien (auch B|2-Mangel)

  • Erhöhtes Risiko für Kolonkarzinome

Chronisch entzündliche Darmerkrankungen

Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (Colitis ulcerosa, Morbus Crohn) weisen besonders häufig aufgrund unzureichender Zufuhr, Malabsorption und Störungen der Folatresorption durch Sulfasalazin einen Folsäuremangel auf. Bei Patienten mit Colitis ulcerosa und Morbus Crohn besteht zudem ein erhöhtes Risiko für kolorektale Karzinome. Dabei wird als Risikofaktor auch ein Folsäuremangel diskutiert.

Calciumfolinat-Rescue

Der Folsäureantagonist MTX wird in der Onkologie vor allem bei akuten Leukämien, Lymphomen, Sarkomen und verschiedenen Karzinomen eingesetzt. MTX führt zu einem ausgeprägtem Mangel an reduzierter Folsäure im Organismus. Aufgrund seiner hohen Affinität zur Dihydrofolsäure-Reduktase kann MTX eine Knochenmarksdepression mit Leukopenien und Thrombozytopenien hervorrufen. Durch die Gabe des Antidots Folinsäure (Calciumfolinat-Rescue), insbesondere bei Mittelhoch- und Hochdosis-MTX-Therapie, läßt sich die MTX-Toxizität mindern und gesunde Körperzellen vor der Zerstörung schützen. Folinsäure ist das Formylderivat (Formyl-THF) bzw. die aktive Form der Folsäure. Die Calciumfolinat-Rescue beginnt üblicherweise 24 h nach Ende der MTX-Infusion in östündigem Abstand und dauert bis zu 72 h an bzw. bis der MTX-Serumspiegel unter 5 X KHmol/l gefallen ist. In diesem Fall darf die Substitution grundsätzlich nur unter ärztlicher Kontrolle und unter Einhaltung eines zeitlich abgestimmten Dosierungsschematas erfolgen!

Diabetes mellitus

Diabetiker weisen häufig einen Folsäuremangel auf, da sie einerseits zu wenig Folsäure über die Nahrung aufnehmen und andererseits durch Zinkdefizite die Bioverfügbarkeit der Folsäure limitiert ist. Diabetikern wird generell zur Prävention von Polyneuropathien eine Substitution von B-Vitaminen inklusive 400 bis 1000 pg Folsäure/Tag empfohlen.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Mehr als die Hälfte aller Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die niedrige Folsäurespiegel haben, weisen erhöhte Homocyst(e)inwerte auf. Homocystein wird im menschlichen Organismus aus der essenziellen Aminosäure Methionin gebildet und unter Beteiligung der Vitamine B12, B6 und Folsäure zu Methionin remethyliert oder zu Cystein abgebaut. Folsäure hat dabei die größte Bedeutung. Zur Vorbeugung werden 0,4-1 mg, zur Therapie 1-5 mg Folsäure pro Tag empfohlen.

Einnahme oraler Kontrazeptiva

Bis zu 30 % der jungen Frauen, die orale Kontrazeptiva einnehmen, weisen einen Folsäuremangel, nachweisbar durch eine milde Megaloblastenanämie auf. Bei Einnahme oraler Kontrazeptiva wird eine regelmäßige Zufuhr von 400-800 pg Folsäure/Tag empfohlen.

Megaloblastäre Anämie aufgrund Folsäuremangel

Bevor eine Megaloblastenanämie mit Folsäure behandelt wird, muss ein Vitamin B12-Mangel ausgeschlossen werden! Ein Mangel an Folsäure oder Vitamin B12 kann infolge gestörter Erythropoese eine makrozytäre (megaloblastäre) Anämie hervorrufen. Die Zellteilung der blutbildenen Zellen im Knochenmark wird verzögert, so daß sich anstatt normaler Erythrozyten (Normozyten) sogenannte Megalozyten bilden. Megalozyten enthal­ten im Vergleich zu normalen roten Blutkörperchen zuviel Hämoglobin (makrozytäre, hyperchrome Anämie). Die Therapie erfolgt mit täglicher Gabe von 10 bis 20 mg Folsäure oral oder 1 bis 5 mg parenteral zusammen mit Vitamin B12!

Psychische Erkrankungen

Folsäuremangel führt zu Depressionen, Reizbarkeit und Konzentrationsschwäche. Bei psychischen Erkrankungen und neurologischen Störungen ist daher auf eine ausreichende Versorgung mit Folsäure zu achten.

Rheumatoide Arthritis (RA)

Methotrexat (MTX) zählt zu den Arzneimitteln mit der höchsten Wirksamkeit auf die klinische und humorale Entzündungsaktivität der rheumatoiden Arthritis (RA). Allerdings wird die Anwendung insbesondere durch gastrointestinale Nebenwirkungen (z.B. schmerzhafte, ulzerierende Stomatitis) begrenzt. Folsäuredefizite sind bei Patienten mit RA relativ häufig und werden zusätzlich durch die MTX-bedingte Hemmung der THF-Reduktase verstärkt. Die Ergebnisse einer Meta-Analyse von 7 randomisierten, Placebo-kontrollierten Doppelblindstudien bestätigen, dass eine regelmäßige Folsäure-Substitution die mucosale und gastrointestinale Nebenwirkungsrate einer MTX-Thera-pie gegenüber Placebo signifikant reduziert (um 79%). Die MTX-Wirksamkeit wird durch Folsäuredosen von 5 bis 27,5 mg pro Woche, entsprechend einem Folsäure:MTX-Dosis-Verhältnis von bis zu 3:1 nicht herab­gesetzt.

Schwangerschaft

Das Neurairohr schließt sich zwischen dem 22. und 28. Schwangerschaftstag, also noch bevor eine Frau überhaupt weiß, dass sie schwanger ist. Bei einer Fehlsteuerung dieses Prozesses durch Folsäuremangel treten schwere Missbildungen auf wie Spina bifida (Spaltbildung der Wirbelsäule) und Anenzephalie (Fehlen bzw. Degeneration des Gehirns). Zur Vermeidung von Neuralrohrdefekten wird Frauen mit Kinderwunsch eine frühzeitige Substitution (spätestens einen Monat vor Beginn der Schwangerschaft) von 0,4 bis 0,8 mg Folsäure pro Tag empfohlen. Nach einer vorausgegangenen Schwangerschaft mit einem Neuralrohrdefekt ist das Wiederholungsrisiko um das 10- bis 20-fache erhöht. Frauen, bei denen in einer früheren Schwangerschaft ein Neuralrohrdefekt

aufgetreten ist, sollten bei einem Kinderwunsch 4 bis 5 mg Folsäure pro Tag einnehmen.

Krebs und zervikale Dysplasien

Aufgrund der wichtigen Funktion von Folsäure bei DNA-Synthese und Chromosomen-Reparaturprozessen wird ein Folsäuremangel auch als Risikofaktor in der Karzinogenese, insbesondere bei bronchialen (6), ko­lorektalen und zervikalen Tumoren diskutiert.

Unter oraler Kontrazeptiva-Einnahme können metaplastische Veränderungen in den zervikalen Zellen auftreten. In einer Doppelblindstudie an jungen Frauen, die orale Kontrazeptiva einnahmen und moderate dysplastische oder metaplastische Veränderungen der epithelialen Zervixzellen aufwiesen, führte die tägliche orale Gabe von 10 mg Folsäure zu einer signifikanten Verbesserung oder Normalisierung des Zellwachstums. Bei einigen Frauen verschwanden sämtliche Symptome metaplastischer Veränderungen.

Weitere Anwendungsgebiete

AIDS, Alzheimer, Niereninsuffizienz, Hämoglobinopathien (Sichelzellenanämie), CED

Hinweis: Wird eine megaloblastäre Anämie aufgrund eines Vitamin B12-Mangels nicht ausgeschlossen, ist Folsäure immer zusammen mit Vitamin B12 zu substitutieren. Vitamin B12 führt N-Methyl-THF in die für die DNA-Synthese wichtige THF zurück. Eine Hemmung dieser Umwandlung durch Vitamin B12-Mangel läßt sich durch Folsäure-Zufuhr zwar kompensieren, die Gefahr schwerer neurologischer Schäden bleibt jedoch bestehen!

In seltenen Fällen allergische Reaktionen, Pruritus, Einschlaf- und GIT-Störungen.

Wechselwirkungen

Folsäure kann die Plasmaspiegel und anti­konvulsive Wirksamkeit von Antiepilepti­ka wie Phenytoin (—¥ Steigerung des oxidati­ven Phenytoinabbaus) senken (um bis zu 40%). Bei Epileptikern sollte die Folsäurega-be daher 1 mg/Tag nicht überschreiten (ärztli­che Kontrolle). Bei gleichzeitiger Anwen­dung mit 5-FU können schwere Durchfälle auftreten. Ein durch Antiepileptika induzier­ter Folsäuremangel (Hemmung der Folsäure-Resorption, Mikroklimahypothese) kann mit Gingivahyperplasie, Homocyst(e)inämie, megaloblastärer Anämie und Neurotoxizität assoziiert sein. In sehr hoher Dosierung ist bei gleichzeitiger Gabe von Folsäure-Anta­gonisten (z. B. MTX) eine gegenseitige Wir­kungshemmung nicht auszuschließen.

Gegenanzeigen

Megaloblastäre Anämie infolge Vitamin B12-Mangel. Die Ursache einer Megaloblasten­anämie muss vor Thrapiebeginn abgeklärt werden!

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