Beta-Carotin (Carotinoide)

Physiologische Bedeutung ß-Carotin

Die Gruppe der Carotinoide ist eine in der Natur weit verbreitete Substanzklasse. Man kennt heute mehr als 600 verschiedene Carotinoide, von denen etwa 50 im menschlichen und tierischen Körper in Vitamin A (Re­tinol) umgewandelt werden können. Sie werden deshalb auch als Provitamin A bezeichnet. ß-Carotin ist der bekannteste Vertreter dieser Provitamine. Aufgrund seiner vollständig symmetrischen Molekülstruktur entstehen nach Spaltung der zentralen Doppelbindung durch das Enzym 15,15-Dioxygenase aus einem Molekül ß-Carotin zwei Moleküle Vitamin A (Retinal), das dann zu Retinol reduziert wird. ß-Carotin hat daher von allen Carotinoiden die höchste Vitamin A-Aktivität. 6 mg alltrans-ß-Carotin und 12 mg gemischte Carotinoide entsprechen dabei etwa 1 mg Retinol-Äquivalent (3000 I.E. Vitamin A). 1 pg ß-Carotin = 1,67 I.E.

Die Umwandlung von ß-Carotin in Vitamin A (etwa Ve) wird allerdings vom Organismus über die Aktivität des Enzyms 15,15-Dioxygenase streng reguliert. Je besser der körpereigene Vitamin A-Status, umso geringer ist die Enzymaktivität, d. h. auch die Einnahme hoher ß-Carotin-Dosen führt nicht zu einer toxikologisch relevanten Überproduktion von Vitamin A (strenge Homöostase).

ß-Carotin übernimmt als Antioxidans eine wichtige Funktion beim Schutz körpereigener Strukturen (Enzyme, Lipide, Proteine, DNS) vor der schädigenden Wirkung durch reaktive Sauerstoffspezies (ROS). Lichtemp­findliche Zellen werden durch ß-Carotin vor der zellzerstörenden Wirkung des aggressiven Singulettsauerstoffs ('02) geschützt, der vor allem bei der Einwirkung von UV-Licht entsteht. Hierbei übernimmt das Antioxidans die erhöhte Energie des Singulettsauerstoffs und führt sie in Form unschädlicher Wärme ab („Quenching"). Aus dieser Reaktion geht ß-Carotin unverändert hervor und steht bis zu 1000 mal für die gleiche Aufgabe zur Verfü­gung (siehe auch Kap. 5). Je mehr Doppelbindungen ein Carotinoidmolekül besitzt, desto höher sind auch seine Quenching-Eigen-schaften. Lycopin ist aufgrund seiner hohen Anzahl an konjugierten Doppelbindungen ein besonders effektiver Singulettsauerstoff-Quencher.

Neben der Fähigkeit, Singulettsauerstoff zu quenchen (inaktivieren), hemmt ß-Carotin als Ketten brechendes Antioxidans auch die durch Singulettsauerstoff oder Peroxyl-Radikale induzierte Lipidperoxidation. Bei dieser chemischen Reaktion wird ß-Carotin allerdings oxidativ unter Verlust seiner antioxidativen Eigenschaften verbraucht.

ß-Carotin erhöht die Aktivität der B- und T-Lymphozyten, die Zahl der natürlichen Killerzellen und steigert die zelluläre Immunantwort. Carotinoide und Retinoide sind außerdem an der Regulierung der interzellulären Kommunikation über sogenannte gap junctions, beteiligt. Über diese Verbindungskanäle tauschen Zellen untereinander Botenstoffe und Signale aus, die unkontrolliertes Zellwachstum regulieren. Bei entarteten Zellen ist dieser Signalaustausch unterbrochen. Carotinoide und Retinoide können die Umwandlung vorgeschädigter oder entarteter Zellen in Krebszellen unterdrücken, indem sie den interzellulären Informationsaustausch wieder reaktivieren.

Carotinoide

Neben ß-Carotin spielen vor allem die Carotinoide Lycopin, Lutein, Zeaxanthin, Cryptoxanthin und a-Carotin für die menschliche Ernährung eine wichtige Rolle. Natürliche Carotinoid-Gemische, wie sie zum Beispiel in der Meeresalge Dunaliella salina vorkommen, bieten einen umfangreicheren Schutz und weisen ein breiteres Wirkstoffspektrum auf als isoliertes und synthetisch hergestelltes ß-Carotin. Carotinoide reichern sich zum Teil in bestimmten Geweben bevorzugt an. Lycopin in der Nebenniere und in den Hoden, Lutein im Gelbkörper, Zeaxanthin im Fettgewebe, Lutein und Zeaxanthin in der Macula lutea, a- und ß-Ca­rotin in der Leber.

Lycopin ist unter den Carotinoiden der stärkste Radikalfänger. Reichhaltige Quellen für Lycopin sind Tomaten. Die Bioverfügbarkeit von Lycopin ist allerdings aus gekochten Tomaten oder Tomatensoßen deutlich höher als aus rohen Tomaten (3). Hohe Lycopin-Konzentrationen im Serum und Fettgewebe sind mit einem signifikant geringeren Risiko für koronare Herzkrankheit assoziiert. In der EURAMIC-Studie, einer europaweit durchgeführten Multicenter-Studie, war das relative Herzinfarkt-Risiko bei hohen Lycopinwerten um 48 % gegenüber niedrigen Werten reduziert. 

In klinischen Studien konnte durch die Zuführ tomatenhaltiger Produkte der Lycopin-Serumspiegel erhöht und dadurch die LDL-Oxidation signifikant gehemmt werden. Gleichzeitig ist unter Supplementierung von 60 mg Lycopin pro Tag über einen Zeitraum von 3 Monaten eine signifikante Reduktion der LDL-Cholesterinspiegel (um 14%) im Plasma beobachtet worden. Als möglicher Wirkmechanismus wird eine Hemmung der HMG-Co-Reduktase durch Lycopin diskutiert.

Neuere Untersuchungen konzentrieren sich auf die antikanzerogenen Eigenschaften des Lycopins. Ein hoher Lycopinspiegel ist mit einem deutlich geringeren Risiko für Prostata-, Lungen- und Magenkrebs verbunden. Aber auch Karzinome des Ösophagus, Kolon und Rektum sowie der Brust und des Gebärmutterhalses treten bei höheren Lycopinkonzentrationen im Plasma vergleichsweise seltener auf. Besonders ausgeprägt ist die Schutzwirkung gegenüber Prostatakrebs. In Beobachtungsstudien war eine tägliche Aufnahme von bis zu 6 mg Lycopin mit einem um 21 % reduzierten Risiko für Prostatakrebs assoziiert. Männer die häufig Tomatensoßen verzehrten hatten in einer anderen Studie ein um 25 % geringeres Gesamtrisiko für Prostatakrebs, und ein um 44% geringeres Risiko für das Auftreten besonders aggressiver Prostatkrebsformen.

Lutein und Zeaxanthin finden sich in hohen Konzentrationen in den Pigmenten der Macula lutea, dem zentralen Teil der Retina und Stelle des schärfsten Sehens. Möglicherweise reichern sich gerade diese beiden Ca­rotinoide selektiv in der Retina an, da sie an beiden Ringen des Moleküls je eine Hydroxylgruppe tragen. Die Retina ist reich an ungesättigten Fettsäuren, die leicht durch Radikaleinwirkung geschädigt werden können. Lutein und Zeaxanthin schützen aufgrund ihrer ausgeprägten Quenching-Eigenschaften vor schädlicher UV-Strahlung und verhindern die Bildung von Lipidperoxiden. Epidemiologische Studien bestätigen, dass Personen mit einer carotinoidreichen Ernährung ein signifikant geringeres Risiko für die Entwicklung der sog. altersabhängigen Makula­degeneration (AMD) oder einer senilen Katarakt (grauer Star) aufweisen.

Für Carotinoide und ß-Carotin ist es schwierig, einen Mindestbedarf festzulegen. Die D-A-CH-Referenzwerte geben einen Schätzwert von 2-4 mg ß-Carotin/Tag an. Zahlreiche Wissenschaftler empfehlen für eine opti­male Prävention Dosierungen zwischen 5 mg und 20 mg Carotinoide (6 mg Lycopin) pro Tag (siehe Tabelle).

Als lipophile Verbindung wird ß-Carotin im oberen Dünndarm unter Mitwirkung von Gallensalzen resorbiert. Bemerkenswert ist, dass ß-Carotin aus Supplementen (Gelatinekapseln) deutlich besser resorbiert wird und höhere Plasmaspiegel erzeugt als z. B. aus Karotten. Nahrungsfette steigern deutlich die Resorption. Nach Nahrungszufuhr zeigt sich im Plasma vor allem ein Konzentrationsanstieg in den Lipoproteinen, wobei in den LDL die höchsten Konzentrationen vorliegen. Lutein und Zeaxanthin werden hauptsächlich in HDL transportiert. Gespeichert werden Carotinoide vor allem im Fettgewebe und der Leber.

Mögliche Ursachen für Mangel/ erhöhten Bedarf

Arzneimittel: Colestyramin, Neomycin. Hohe Sonnenlichtexposition, Oxidativer Streß: AMD, Diabetes melli­tus, Krebs, Rauchen, Sport. Ernährung: unzureichender Zufuhr (z.B. Grünkohl, Tomaten, Aprikosen) Maldigestion/-absorption: Bakterielle Übersiedlung des Dünndarms, Cholesta-se, Kurzdarmsyndrom, M. Whipple, Mu­koviszidose, Pankreatitis, Pankreaskarzi-nom, Leberinsuffizienz, Steatorrhö.

Mögliche Folgen/Mangelsymptome

Erhöhtes Risiko für Herzinfarkt (ß-Carotin, Lycopin), Prostata-, Brust-, Magenkrebs (Ly­copin), Lungen-, Speiseröhren-, Brust- u. Magenkrebs (ß-Carotin), Katarakt, Makula­degeneration (Lutein/Zeaxanthin); Anstieg des Ox-LDL im Serum.­

AIDS und Immunfunktion

ß-Carotin steigert auf vielfältige Weise die humorale und zelluläre Immunantwort. Von einer Supplementierung profitieren daher vor allem Personen mit einem geschwächten Im­munsystem (z. B. AIDS-Patienten, alte Men­schen). HlV-Infizierte weisen häufig als Folge einer gestörten Fettresorption niedrige ß-Carotin Serumspiegel auf. In einer Pilotstudie der Yale Universität wurde bei HIV-Patienten unter der täglichen Gabe von 60 mg ß-Carotin über einen Zeitraum von 4 Wochen ein signifikanter Anstieg der Lymphozytenzahl (um 66 %) und geringfügiger Anstieg der CD4-Zellen beobachtet. In einer weiteren Studie, doppelblind und placebokontrolliert, führte die tägliche Supplementierung von 180 mg ß-Carotin über einen Zeitraum von 4 Wochen bei HlV-Infizierten zu einem statistisch signifikanten Anstieg der weißen Blutzellen und Verbesserung der CD4/CD8-Ratio.

Altersbedingte Makuladegeneration (AMD) und Katarakt

Der graue Star und die altersbedingte Maku­ladegeneration (AMD) gehören zu den Hauptursachen für das Nachlassen der Sehkraft und das vermehrte Auftreten von Erblindungen im Alter. An der Entwicklung der altersbedingten Makuladegeneration (AMD), einem Schaden auf der Fovea centralis der Netzhaut, und der senilen Katarakt sind maßgeblich freie Radikale beteiligt. Carotinoide wie Lutein und Zeaxanthin reichern sich in der Augenlinse an und schützen vor der oxidativen Schädigung durch Sauerstoffradikale. Zeaxanthin ist das dominierende Carotinoid in der Retina. In einer Multicenter-Studie wurde die Zufuhr carotinoidreicher Nahrungsmittel von 356 Patienten mit Makuladegeneration mit 520 gesunden Kontrollpersonen verglichen. Diejenigen mit dem höchsten Verzehr von Carotinoiden, insbesondere Lutein und Zeaxanthin (5,8 mg/Tag) hatten ein um 43 % geringeres Risiko für AMD. In einer weiteren Studie an Patienten mit AMD führte die kombinierte Gabe von täglich 500 mg Vitamin C, 400 I.E. Vita­min E, 9 mg Betacarotin und 250 pg Selen bei 60 % der Patienten zu einem Stillstand oder einer Verbesserung der degenerativen Veränderungen der Macula lutea.

Zur Vorbeugung und adjuvanten Therapie der Katarakt und der altersbedingten Makuladegeneration wird ein Carotinoid-Komplex mit hohem Lutein- und Zeaxanthinanteil in Kombination mit anderen Antioxidanzien wie Vitamin E, Vitamin C und Anthocyanidinen empfohlen.

Atherosklerose und KHK

Zahlreiche epidemiologische Studien bestätigen, dass eine carotinoidreiche Ernährung mit einem deutlich reduzierten kardiovaskulären Risiko verbunden ist. Niedrige Carotinoid-Plasmaspiegel verdoppeln statistisch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. In einer doppelblind, placebokontrolliert und randomisiert durchgeführten Studie an 333 Patienten mit stabiler Angina pectoris führte die ß-Carotin-Substitution (50 mg jeden zweiten Tag) zu einer signifikanten Reduktion kardiovaskulärer Komplikationen um etwa 50 % gegenüber Placebo.

Hautschutz

ß-Carotin wird hochdosiert bei zahlreichen Hauterkrankungen, die mit erhöhter Lichtempfindlichkeit und/oder Pigmentstörungen assoziiert sind (Erythropoetische Protopor­phyrie, polymorphe Lichtdermatose: 50-200 mg/Tag; Pigmentstörungen, Vitiligo: 50-150 mg/Tag, Dysplastisches Nävussyndrom: 50-75 mg/Tag) erfolgreich eingesetzt. Bei erythropoetischer Protoporphyrie und Pigmentstörungen werden über einen Zeitraum von 3 bis 5 Wochen täglich 50 bis 200 mg ß-Carotin, im Anschluss daran 25 bis 50 mg ß-Carotin pro Tag als Erhaltungsdosis empfohlen.

Chronische Sonnenlichtexposition (z. B. Solarium) führt zu Photoalterung und Degeneration der Haut, bishin zu präkanzerösen Veränderungen und malignem Melanom. In der Berlin-Eilath-Studie führte die tägliche Gabe von 30 mg ß-Carotin zu einer deutlichen Minderung des lichtinduzierten Erythems. Unter Betacarotin-Supplementierung stieg die Dichte der Langerhanszellen (in der Epidermis lokalisierte Hilfszellen des Immunsystems) signifikant an. ß-Carotin hat zudem einen hemmenden Einfluß auf die Neubildung dysplastischer Naevi an stark Sonnenlicht-exponierten Hautstellen. Die rechtzeitige, vor der Sonnenlichtexposition begonnene Einnahme von ß-Carotin in Kombination mit der topischen Applikation konventioneller Lichtschutzpräparate, stellt eine sinnvolle Maßnahme zur Vorbeugung von UV-Licht induzierten Hautschäden dar. Zur Langzeitprophylaxe von chronischen Lichtschäden wäre ebenso wie zur Karzinomprophylaxe laut Professor Dr. W. Raab eine Tagesdosis von mindestens 15 mg ß-Carotin zu empfehlen.

Krebsprävention

Epidemiologische Studien bestätigen, daß Personen mit einer carotinoidreichen Ernährung ein signifikant geringeres Risiko tragen an Krebsarten wie Brust-, Lungen-, Magen-Darm- und Prostatakrebs zu erkranken. Dabei wirken Carotinoide vor allem in der Frühphase der Krebsentstehung chemo-präventiv. Die Ergebnisse einiger Interventionsstudien sind im Hinblick auf die antikanzerogene Wirkung des ß-Carotins widersprüchlich: Unter der Kombination von ß-Ca­rotin, Vitamin E und Selen über einen Zeitraum von ein bis zwei Jahren wurde in der chinesischen Linxian-Studie eine deutliche Reduktion der Magenkrebs- (um 21%) sowie der gesamten Krebsmortalität (um 13%) beobachtet. Dagegen führte die Gabe von 20 mg ß-Carotin/Tag an Raucher über einen Zeitraum von 5 Jahren in der finnischen ATBC-Studie zu einem Anstieg der Lungenkrebsinzidenz um 18%. Möglicherweise wird ß-Carotin in der Lunge zum Teil in Vitamin A-Säure umgewandelt, wodurch die Proliferation entarteter Zellen, die bei Rauchern häufig vorliegen, angeregt wird. Das negative Ergebnis der finnischen Studie war von vielen Kritikern erwartet worden. Finnland nimmt weltweit eine Spitzenposition in der Krebshäufigkeit und kardiovaskulären Mortalität ein. Als Ursachen werden ernährungs- und umweltbedingte Einflüsse diskutiert (z. B. Selenmangel). Zusätzlich drängt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer Studie an Hochrisikopatienten auf, die zu Beginn der Studie mindestens 20 Jahre lang mehr als 20 Zigaretten pro Tag geraucht hatten. Grundsätzlich gilt, dass die Gabe eines einzelnen Vitamins oder Provitamins mit Sicherheit eine über Jahrzehnte ungesunde Lebensweise (Rauchen!) nicht kompensieren kann!!

Der ADI-Wert (Acceptable Daily Intake) von 5 mg/kg Körpergewicht für isoliertes ß-Carotin wurde vom wissenschaftlichen Lebensmittelausschuss der Europäischen Union am 7. September 2000 zurückgezogen, da bei starken Rauchern bereits bei 20 mg/Tag Gesamtzufuhr gesundheitsschädigende Wirkungen beobachtet wurden (siehe oben). Carotinoide besitzen weder akut oder chronisch toxische, noch mutagene, teratogene oder kanzerogene Eigenschaften. Bei längerfristiger hochdosierter Anwendung treten außer der Gelbfärbung der Haut und des Fettgewebes keine unerwünschten Nebenwirkungen auf.

Wechselwirkungen

Es gibt Hinweise darauf, dass bei hochdosierter Anwendung von ß-Carotin der Vitamin E-Verbrauch ansteigt. Eine kombinierte Substitution von ß-Carotin und Vitamin E ist daher empfehlenswert.

Gegenanzeigen

Bei Leberschäden sollte ß-Carotin nicht eingenommen werden.

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