Vitamin B2 (Riboflavin)
Physiologische Bedeutung
Riboflavin übernimmt als Baustein der Coen-zyme Flavinmononucleotid (FMN) und Fla-vinadenindinueleotid (FAD) eine wichtige Funktion beim Wasserstofftransport in der mitochondrialen Atmungskette, der oxidati-ven Phosphorylierung, der Dehydrierung von Fettsäuren (Acyl-CoA-Dehydrogenase), der oxidativen Desaminierung von Aminosäuren und dem Abbau von Purinen (Xanthinoxida-se). Aufgrund der chinoiden Struktur des Ri-boflavins besitzen die Flavinenzyme ausgeprägte Redoxeigenschaften. Beim Schutz zellulärer Proteine vor der oxidativen Schädigung durch Peroxide zählt die Flavin-haltige GSH-Reduktase zusammen mit der selenabhängigen GSH-Peroxidase zu den wichtigsten endogenen antioxidativen Schutzsystemen. Eine hohe GSH-Reduktase-Aktivität findet sich in den Erythrozyten und in der Augenlinse. Neben Cytochrom-P-450-Enzymen sind auch Flavinhaltige Monooxygenasen an der oxidativen Biotransformation und Entgiftung von Xenobiotika beteiligt. Das Flavin-enzym NADPH-Oxidase spielt eine wichtige Rolle bei der Phagozytose (Respiratory burst).
Riboflavinbedarf und -resorption
Der Riboflavinbedarf ist, wie auch der Thia-minbedarf, abhängig von der Energiezufuhr. Die D-A-CH-Referenzwerte empfehlen für Erwachsene eine tägliche Zufuhr von 1,2 bis 1,5 mg, für Schwangere und Stillende 1,5 bzw. 1,6 mg.
Riboflavin wird überwiegend im proximalen Dünndarm über einen aktiven und sättigbaren Transportmechanismus resorbiert. In höheren Dosierungen wird ein Teil über passive Diffusion aufgenommen.
Riboflavin kommt in zahlreichen pflanzlichen und tierischen Lebensmitteln vor (siehe Tab. 3.5). Flavine sind allerdings sehr lichtempfindlich. Sonnenlicht ist in der Lage, innerhalb kurzer Zeit Riboflavin zu zerstören. Da Riboflavin wasserlöslich ist, gehen zusätzlich große Mengen mit dem Kochwasser verloren.
Alkoholismus
Arzneimittel: Langandauernde Antibiotika oder Sulfonamidbehandlung, Antidepressiva, Antiepileptika, Phenothiazine, orale Kontrazeptiva, NRTI (z.B. AZT), Proteasehemmer, Zytostatika. Erhöhter Bedarf: Schwangerschaft, Stillzeit, Wachstum
Ernährung: Mangel- und Fehlernährung, hohe Verluste bei Lichtexposition (z.B. Milch bis zu 90%), PEM. Chronische Erkrankungen (AIDS/HIV, Krebs), Operationen, Traumen. Hypothyreose: Schilddrüsenhormone (T3, T4) steigern die Umwandlung von Riboflavin in seine coenzymatisch aktiven Formen.
Magen-Darm-Erkrankungen: CED, Darmmykosen, Durchfall, Sprue. Phototherapie Neugeborener mit Hyperbi-lirubinämie (Riboflavin stimuliert Photo-lyse des Bilirubins).
- Ein Riboflavinmangel tritt selten isoliert auf, sondern ist meistens mit einem Mangel an anderen B-Vitaminen vergesellschaftet.
- Antriebsschwäche, depressive Verstimmungen, Lethargie
- Haut- u. Schleimhautveränderungen: Rötung, Schuppung, Mundwinkelrhagaden, Glossitis (Entzündung der Zungenschleimhaut)
- Konjunktivitis, Keratitis, erhöhte Lichtempfindlichkeit
- Trübungen der Augenlinse: Riboflavinmangel erhöht das Kataraktrisiko. Diese Gefahr besteht vor allem für alte Menschen.
- Hämatopoese (hypochrome Anämie): Gestörte Resorption und Metabolisierung von Eisen (FMN-abhänigige Oxidoreduk-tase setzt Eisen aus Ferritin frei) I Verminderte GSH-Reduktase-Aktivität der Erythrozyten
- Mitochondriale Dysfunktion (z.B. AZT-assoziierte Lactatazidose) und Myopathien (z.B. Acyl-Co-Dehydrogenasemangel) Störungen der Methämglobinreduktase (Methämglobinämie) und des Vitamin B3-Folsäure- und B6-Stoffwechsels
Unter der Therapie mit Nucleosidischen Re-verse-Transkriptase-Inhibitoren (z.B. AZT) ist bei AIDS-Patienten eine mitochondriale Dysfunktion mit Lactatazidose und fettiger Degeneration der Leberzellen, infolge gestörter ß-Oxidation, beobachtet worden. Als Ursache wird neben der Hemmung der mitochondrialen DNA-Polymerase-y ein durch NRTI induzierter Mangel an B-Vitaminen, insbesondere an Thiamin und Riboflavin, diskutiert. Die orale Gabe von 50 mg Riboflavin normalisierte bei einer AIDS-Patientin mit Lactatazidose und beginnender Leberverfettung die Entgleisung des mitochondrialen Stoffwechsels. Zur Kompensation des krankheitsbedingten erhöhten B-Vitaminbedarfs wird HlV-Infizierten und Patienten mit AIDS die regelmäßige Zufuhr eines Vitamin B-Komplex (50-100 mg/Tag) empfohlen.
Katarakt
In der Augenlinse führt ein Mangel an Riboflavin zu einer Beeinträchtigung der Gluta-thionreduktaseaktivität und begünstigt dadurch möglicherweise die Entwicklung von Linsentrübungen. Riboflavin wird zusammen mit anderen Antioxidanzien wie Vitamin C und Carotinoiden in der Prophylaxe und Therapie altersbedingter Trübungen der Augenlinse eingesetzt.
Migräne
Bei Migräne ist der Energiestoffwechsel in den Mitochondrien verändert. Da Riboflavin bei diesen Stoffwechselprozessen eine wichtige Rolle spielt, untersuchten belgische Wissenschaftler in einer randomisier-ten und doppelblinden klinischen Studie an 49 Patienten mit Migräne, ob das Vitamin die Häufigkeit und Schwere der Migräneattacken reduzieren kann. Die Probanden erhielten über einen Zeitraum von drei Monaten täglich 400 mg Riboflavin oder ein Place-bo. Im Vergleich zu Placebo führte Riboflavin zu einer deutlichen Reduktion der Anzahl der Migräneattacken. Auch die Schwere und Dauer der Attacken wurden günstig beeinflusst.
Myopathien, mitochondriale
Bei Störungen bzw. Enzymdefekten der mitochondrialen ß-Oxidation und der Atmungskette wie Acyl-CoA-Dehydrogenase-Mangel mit Lipidakkumulation im Gewebe, empfiehlt sich neben einer fettarmen Diät die Substitution von Vitamin B2 (100-200 mg/d) und L-Carnitin (1000^1000 mg/d).
Sichelzellenanämie
In einer kontrollierten Studie an Patienten mit Sichelzellenanämie führte die Substitution von 2 X täglich 5 mg Riboflavin zu einer signifikanten Verbesserung des Eisenstatus und der Glutathionspiegel.
Weitere Anwendungsgebiete
Diabetes mellitus, Dermatosen, Darmentzündungen (Enteritiden), Methämglobinämie, Phototherapie bei Neugeborenen mit Hyper-bilirubinämie (0,5 mg/kg KG x d).
Nebenwirkungen und Wechselwirkungen sind bei oraler Anwendung von Riboflavin selbst bei sehr hoher Dosierung nicht bekannt. Die auftretende intensive Gelbfärbung des Urins ist harmlos. Gegenanzeigen sind nicht bekannt.